Post aus Berlin 6-2020 Covid-19 III
Deutschland im Lockdown-Modus – Was passiert wenn die
Praxis geschlossen werden muss oder soll?
Liebe Mitglieder,
die Covid-19-Epidemie hat in den ersten Ländern Europas zu einem vollständigen Lockdown des gesellschaftlichen Lebens geführt. Wird Deutschland folgen?
In vielen Bundesländern gelten seit gestern verschärfte Maßnahmen zur Eindämmung des Coronavirus. So sind nicht mehr nur Großveranstaltungen, sondern nahezu alle öffentlichen Veranstaltungen untersagt, „Amüsierbetriebe“, kulturelle Angebote aber auch sportliche Aktivitäten müssen schließen bzw. eingestellt werden. Allgemeine Betriebsschließungen oder gar Ausgangsperren sind (noch?) nicht angeordnet, aber ob es gelingt, mit den derzeitigen Maßnahmen die Infektionsrate ausreichend zu senken, ist nicht absehbar. Es ist bei dieser Situation wohl nur eine Frage der Zeit, bis erste Praxen unmittelbar betroffen sind. Wieviele Patienten sagen Ihre Termine ab? Was passiert, wenn ein/e Mitarbeiter/in oder die/der Praxisinhaber/in unter Quarantäne gestellt wird?
Zahlreiche Informationen hat auch zum Thema Arbeitsrecht die Bundeszahnärztekammer unter https://www.bzaek.de/fileadmin/PDFs/b/2020_Arbeitsrecht_Sars-CoV-2.pdf zusammengestellt.
Es kommen verschiedene Situationen in Frage, wie sich die Covid-19-Epidemie auf die Praxis auswirken kann.
1.) Die Praxis wird unter Quarantäne gestellt
Wird eine Praxis geschlossen, da der Praxisinhaber oder ein Mitarbeiter an Covid-19 erkrankt ist oder als „verdächtig“ gilt, haben sowohl der Praxisinhaber als auch die Mitarbeiter einen Anspruch auf Entschädigung nach § 56 IfSG. Die Höhe der Entschädigung richtet sich bei den Arbeitnehmern nach dem Arbeitsentgelt, bei dem Praxisinhaber nach dem einkommenssteuerrechtlichen Gewinn. Auch Sozialversicherungsbeiträge und Betriebsausgaben „in angemessenem Umfang“ können Teil der Entschädigung sein.
Da teilweise recht kurze Antragsfristen gelten, sollte im Fall einer Praxisschließung kurzfristig Kontakt mit der zuständigen Behörde aufgenommen werden, um das weitere Verfahren zu erörtern. Die Kassenärztliche Bundesvereinigung hat hierzu eine Übersicht erstellt, die Sie unter folgendem Link finden.
https://www.kbv.de/media/sp/PraxisInfo_Coronavirus_Entschaedigung.pdf
2.) Es kommen keine Patienten mehr
Sagen Patienten ihre Termine ab oder werden von Seiten der Praxis verlegbare Termine verschoben, um das Infektionsrisiko zu verringern kommt Kurzarbeit in Betracht. In diesem Fall haben die Mitarbeiter Anspruch auf Kurzarbeitergeld.
Kurzarbeit muss durch den Arbeitgeber bei der zuständigen Agentur für Arbeit angezeigt werden. Erforderlich ist ein „erheblicher Arbeitsausfall“. Ein Arbeitsausfall ist dabei erheblich, wenn er auf einem unabwendbaren Ereignis beruht, vorübergehend und nicht vermeidbar ist. All dies dürfte bei Terminabsagen wegen der Corona-Epidemie der Fall sein. Um das Vorliegen eines erheblichen Arbeitsausfalls belegen zu können, sollten die Terminsabsagen dokumentiert werden. In Betracht kommt ein solcher Arbeitsausfall auch dann, wenn z.B. keine Schutzkleidung oder Desinfektionsmittel mehr vorhanden sind, wobei hier nachgewiesen werden muss, dass alle Anstrengungen unternommen wurden, die Praxis am Laufen zu halten.
Zu beachten ist aber, dass in den meisten Arbeitsverträgen Regelungen zur Kurzarbeit fehlen. Eine einseitige Anordnung von Kurzarbeit ist nicht möglich, sodass das Einverständnis der Mitarbeiter vorliegen muss.
Weitere Informationen zu den aktuellen Regelungen zur Kurzarbeit finden Sie auch unter
https://www.arbeitsagentur.de/news/corona-virus-informationen-fuer-unternehmen-zum-kurzarbeitergeld
Der Antrag auf Kurzarbeitergeld kann nach der Anordnung von Kurzarbeit online bei der Bundesagentur für Arbeit beantragt werden:
https://www.arbeitsagentur.de/unternehmen/finanziell/kurzarbeitergeld-bei-entgeltausfall.
Es kann auch überlegt werden, ob die Störungen im Betriebsablauf so gravierend sind, dass sie ein Übergehen der Urlaubswünsche der Arbeitnehmer rechtfertigen, § 7a Abs. 1 BUrlG. Eine solche Anordnung von Zwangsurlaub hat jedoch ebenfalls hohe Hürden. Sinnvoller erscheint es dann, mit den Mitarbeitern Regelungen zu treffen, dass bei Freistellungen der Urlaub anteilig angerechnet wird.
3.) Die Praxis wird vorsorglich geschlossen
Von diesen von außen kommenden Situationen ist die – nachvollziehbare, aber gleichwohl freiwillige – Entscheidung zu trennen, die Praxis zu schließen, um auf diese Weise Infektionsrisiken zu verringern oder Störungen im Betriebsablauf zu vermeiden. Solch präventive Maßnahmen erfolgen auf Risiko und aller Voraussicht nach auch auf Kosten des Praxisinhabers. In diesen Fällen kommen staatliche Hilfen oder Entschädigungen nicht in Betracht.
Wenn Sie dennoch die Praxis schließen wollen, sollten Sie versuchen, mit Ihren Mitarbeitern eine Regelung zu finden, nach der Überstunden oder Urlaub (anteilig) angerechnet wird. Ansonsten stellt eine vorsorgliche Praxisschließung eine schlichte Freistellung dar, während der das Arbeitsentgelt weiterhin zu zahlen ist.
Wird die Praxis vorsorglich geschlossen, muss aber auch daran gedacht werden, dass die Notfallbetreuung der Patienten gewährleistet ist. Auch darf nicht vergessen werden, dass trotz der Covid-19-Epidemie die Versorgung der Bevölkerung sichergestellt bleibt. Die KZV Bayern weist zurecht darauf hin, dass der Sicherstellungsauftrag nach wie vor gilt
4.) Mitarbeiter können wegen Kinderbetreuung nicht arbeiten
Erhebliche Einschränkungen ergeben sich für Mitarbeiter mit Kindern durch die Schließung von Schulen und KiTas. Da die Eltern grundsätzlich in der Lage wären, ihre Arbeitsleistung zu erbringen, kommt eine Lohnfortzahlung nur gem. § 616 BGB für eine „verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit“ in Betracht. Mehr als einige Tage werden hierdurch nicht abgedeckt werden. Die Bundesregierung appeliert daher auch insoweit an die Arbeitgeber, „pragmatische Lösungen“ zu finden.
Neben der (ggf. anteiligen) Anrechnung von Urlaub und der (ggf. anteiligen) Anrechnung von Überstunden kommen einvernehmliche Flexibilisierungen in Betracht. So könnten z.B. bis zum Jahresende Arbeitszeitkonten eingerichtet werden, damit die Mitarbeiter ohne Kinder jetzt mehr und die Mitarbeiter mit Kindern jetzt weniger arbeiten, sich dies aber über den einen längeren Zeitraum ausgleichen lässt.
Auch bei diesen Themen zeigt sich, dass die Epidemie uns vor große Herausforderungen stellt. Es bleibt dabei, dass wir nur versuchen können, besonnen zu bleiben, um richtig und angemessen zu reagieren.
Am allerwichtigsten aber: Bleiben Sie gesund!
Ihr Dr. Hans-Jürgen Köning
1. Bundesvorsitzender